Aleksandra Burdziej: Eine Frage

Liebe Frau Draesner,

eine kurze – vielleicht etwas naive – Frage habe ich. Da steht es auf der Internetseite des Romans: „Der Roman heißt „Sieben Sprünge vom Rand der Welt“, obwohl nur sechs Vertriebene ihre Geschichte erzählen. Jeder von ihnen ist vom Rand seiner Welt gesprungen. Auf www.der-siebte-sprung.de springt der Roman selbst – in ein anderes Medium.“

Aber, wenn man so zählt, da erzählen im Roman im Grunde genommen nicht sechs Vertriebene, sondern nur fünf (Lilly, Hannes, Eustachius, Emil und Halka). Simone und Boris wurden doch schon „in der neuen Heimat“ geboren (Bayern, Schlesien). Warum also „sieben Sprünge“ und nicht „sechs“ (5 Vetriebene plus der Sprung des Romans selbst bzw. des Lesers mittels der Internetseite)? Wie wäre das zu verstehen?….

Mit freundlichen Grüßen aus Torun,
Aleksandra Burdziej

(c) Aleksandra Burdziej, 2015

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In der Rubrik “Selbst-Erzählen” veröffentlichen wir Texte von Leserinnen und Lesern.

Comments

  1. Liebe Frau Burdziej,
    danke für Ihre Mail und Ihr aufmerksames Lesen. Ihre Frage ist keineswegs naiv, sondern führt ins Zentrum des Romans: Wie „zählt“ man Vertreibung – ab welchem Grad der Betroffenheit gilt jemand selbst als Vertriebener (und wann nicht mehr)? Erst bei der Recherche für die Sieben Sprünge entdeckte ich, dass ich selbst offiziell Vertriebene bin. Eine Migrantin. Das ist erstaunlich, wenn man meinen Lebenslauf betrachtet, hat aber eine innere Richtigkeit.
    So betrachtet erzählen den Roman die Vertriebenen: Lilly, Hannes, Eustachius, Emil und Halka. Simone, geboren in der neuen Heimat, wie Sie schreiben, gilt offiziell als Vertriebene – doch ich selbst zähle sie nicht zu den Vertriebenenstimmen des Romans, weil sie dort lebt, wo sie geboren wurde. Für Boris sieht das anders aus: Er lebt in Deutschland, ist in Polen aufgewachsen, seine Familie ist bunt zentralpolnisch, ostpolnisch, deutsch gemischt. Er steht in den Sieben Sprüngen für eine eigene Art von „Vertreibung“. Man könnte sie als Selbstvertreibung bezeichnen – auf Grund einer von Beschädigungen und Traumatisierungen gezeichneten Familiengeschichte. In der Psychologie findet sich hier bisweilen der Terminus „reenactment“: Kinder spielen, unbewusst oder halbbewusst, Szenarien aus den Leben ihrer Eltern nach, wandern Wege rückwärts etc.

    Ich hoffe, das beantwortet Ihre Frage – und wünsche das Allerbeste für 2015
    Ulrike Draesner