Recherche und Erfindung


Breslau Wroclaw Café Stiebler - Ulrike Draesner #7terSprung

(Niemieckie źródła – Artikel auf polnisch, Übersetzung Karolina Kuszyk)

Recherche und Erfindung

Wroclaw, Ende Mai 2012. Bogna Piter schreibt ihre Abschlussarbeit über die deutschen Spuren an Häusern, zeigt mir Inschriften, alte Namenszüge. Ich sehe die Architektur eines ostmitteleuropäischen, katholischen, von Habsburg geprägten Stadtraumes, Bauspuren der technischen Preußen, Bauhaus und Jugendstil, frühen und späten Sozialismus, Platte und Prunk.

Am Ring werden Tribünen für die Fußball-EM errichtet. Stadtbevölkerung und Touristen flanieren, man sitzt in Cafés und Restaurants. Bürgerreichtum, überraschende Bauten der frühen Moderne. Prachtvoll sanierte Häuser, mildes Licht. Die Kirchen barock, ebenso die Universität. Antiquariate, Buchhandlungen, Kioske. Die Stadt strahlt osteuropäisch-katholisch-habsburgisch, ihre Bewohner scheinen aufbruchsbereit und selbstbewusst. Ich sitze in einem Appartement ein paar Straßen hinter dem Ring und arbeite den Tag nach: Interviews, Begegnungen, das Gespräch mit Krysztof Ruchniewicz, dem Direktor des Willy-Brandt Zentrums für Vertreibungs- und Migrationsforschung, sowie die aufgezeichneten bzw. transkribierten Stimmen aus dem Zentrum Erinnerung und Zukunft (Ośrodek Pamięć i Przyszłość), das offiziell noch nicht eröffnet ist, mir aber freundlicherweise bereits Zugang zu ausgewählten Materialien gewährt.

Aus den Kneipen rundum klingen Stimmen und Gläser, die Nacht ist lau. Fern grüßt, bläulich, der Schatten des Zobten, des Haus- und Geisterberges der Stadt. Schwer zu fassen: die Grünskala ihrer Bäume und Büsche, die Strömung der Oder, sandig, leicht wellig, bei sich.

Die Reise verläuft vollkommen anders als jene des Sommers 1984. Ich bin vorbereitet. Die frappierenden Ähnlichkeiten der ostpolnischen und schlesischen Erfahrungen haben mich berührt: das Gefühl auf beiden Seiten, am neuen Ort nur in einer Kulisse zu leben, die Vertreibung leugnen und verstecken zu müssen – aus politischen und/oder pragmatisch-sozialen Gründen. Die Wurzellosigkeit, der vergrabene Schmerz. Auch die Unterschiede beschäftigen mich: Vertreibung in eine Stadt oder aufs Land. In einen leeren Raum oder an überfüllte Orte. In eine kalte oder leergeräumte, verwüstete „Heimat“?

Ich höre Stimmen, Märchen, Mythen, Familienlügen und Geschichten, habe alte und neue Straßenpläne im Kopf.

Sieben Sprünge vom Rand der Welt. Der Essay zum Roman:

1. Rendez-vous (Teil 1, Teil 2)