Archives for Vater

Wolf und Fuchs (3)

Auch Hannes begegnet dem Wolf: (Kriegsgefangenschaft in Russland) Niemand draußen wusste, ob oder wo er lebte. Er ging in der Lagerwelt auf, existierte nur dort. Es gab keinen Außenraum mehr. Seine Zigaretten tauschte er gegen Brot. Das alte Festhalten an Zahlen, die Bäckerregeln im Blut. Im Sommer arbeiteten sie auf einer Kolchose; von ihrem Gehalt zahlten sie Steuern und Gebühren an das Lager, das Wenige, was übrig blieb, wurde auf ein Konto überwiesen. Einmal durfte er 150 Rubel abheben, sie waren im Handumdrehen verbraucht und, wie er hoffte, klug verteilt. Er hätte gewusst, wie man einen Hasen fing; es gab
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Wolf und Fuchs (2)

Simone erzählt eine Gute-Nacht-Geschichte nach, die Eustachius gern erzählte: In den Wäldern um die Stadt Gubbio lebte ein großer, schrecklicher Wolf. Er riss, was er fassen konnte, fasste mehr, als man glauben wollte. Kaum ein Mensch wagte sich, seit er sich einige Male gezeigt hatte, über die Mauern der Stadt hinaus, ihr Bild verschwamm den Bewohnern vorm Gesicht, so eingeschlossen fanden sie sich, denn nie mehr konnten sie auf sich zurückschauen, nie sich von sich entfernen. Und wenn sie die zunehmend stumpfen Augen einmal öffneten, sahen sie erneut nichts als den Wolf, wie er, im Mittagslicht nur er selbst, schattenlos
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Spree

An die Spree reist keine der Figuren in meinem Roman – wohl aber hat meine Recherche zu den Sieben Spüngen mich auf unerwartete Weise nahe an die Stadt geführt, in der ich seit 18 Jahren lebe. Ich entdeckte, dass der Vater meiner (väterlichen) Großmutter in Erkner zur Welt kam. Landkreis Oder-Spree. Aufgewachsen bin ich an einem kleinen Fluss, der Würm, die in die Isar mündet, die in die Donau mündet, die ins Schwarze Meer fließt. Nun lebe ich in der Nähe eines Gewässers, das sich ebenfalls in west-östlichen Mischlandschaften bewegt. Spree, die Sprühende, sagen die Etymologen. Sie nehmen eine Abstammung
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Es spricht: Jennifer

Boris, den Ausdruck abgeklärter Geduld im Gesicht, den er sich während meiner Pubertät zugelegt hatte, schaute mich nur an. Müde und – vergnügt. Dann begann er zu reden, als wäre nichts, unversehens kam die ebenfalls abgebildete Grolmanntochter ins Spiel, er betrachtete das Foto eingehend, und seine Stimme wurde wärmer und wärmer, und je wärmer sie wurde, umso elender fühlte ich mich. Da war es, das ungeheuerlich starke und schmerzhafte Band. Seelenband! Haben das alle Kinder und Eltern zwischen sich? Mit 14 hatte ich es zum ersten Mal als etwas wahrgenommen, was eine grausame Macht, die sich nicht im Geringsten um
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Sei froh, dass du lebst

Sei froh, dass du lebst: Ursprünglich stand hier: „Diesen Satz verdanke ich Sabine Bode und ihren mit zahlreichen Kriegskindern geführten Interviews. Viele von ihnen berichteten, dieses „sei froh, dass du lebst“ nach der Flucht bzw. nach dem Krieg häufig gehört zu haben, insbesondere von ihren Müttern. Die jedes Klagen damit im Keim erstickten. Ein erschlagender Satz.“ Was hier stand, ist richtig. Dennoch stimmt es nicht: ich selbst noch habe diesen Satz aus dem Mund meines Flüchtling-Vaters zu hören bekommen. Wenn auch mit kleinen Abwandlungen: „Sei froh, dass es dich gibt“. „Sei froh, dass du im Frieden lebst.“ „Sei froh, wie
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