verzogen

verzogen-ulrike-draesner
verzogen: lange Zeit hieß der Roman „Die Verzogenen“. Der Begriff umreißt die Ausgangsfrage: welche Folgen haben die Zwangsvertreibungen in Polen und Deutschland von 1945? Was ist für die betroffenen Menschen aus dem Lot geraden? Welche Ängste begleiten sie seither?
Meine weibliche Vaterverwandtschaft hortete Lebensmittel. In den Kammern einer Großtante, die 2013 in hohem Alter verstarb (Jahrgang 1916) fanden sich 53 Honiggläser, 119 Zigarettenstangen, über 500 Wein- und Kognacflaschen, 44 Flaschen Eierlikör, 57 Dosen mit eingemachten Pfirsichen. Und vieles mehr.
Genauigkeit, zwanghafte Gründlichkeit, Sehnsucht nach Besitz? Eustachius Grolmann rückt Bilder gerade. Die Geste gilt nicht eigentlich dem Bild, sie gilt der Wand. Wände müssen stehen, fest sein.
Da die meisten Menschen bei dem Wort „verzogen“ an Kindererziehung denken, bekam der Roman einen anderen Titel. Doch das Motiv der „Verzogenheit“ durchzieht ihn. Man ist tatsächlich „unbekannt verzogen“ (obwohl man sehr wohl weiß, wie die neue Adresse heißt).

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.